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Mein Senf zu Israel

Tel Aviv von Innen

An einem Wochenende im Jahr führt die Stadt Tel Aviv durch Ecken in die sich der unschuldige Besucher sonst nicht verirrt und öffnet Gebäude, die normalerweise für die Öffentlichkeit geschlossen sind; ehemalige Botschafterresidenzen, Synagogen, christliche Gelände und abrissgefährdete Prachtvillen des vergangenen Jahrhunderts

Auf der Webseite der Stadtverwaltung kann man dann unter fast 200 Touren auswählen, vom Besuch des Sitzes der israelischen Rundfunkbehörde im Nordosten Tel Avivs bis hin zur Residenz des französischen Botschafters im Südwesten Jaffas. Nachdem ich mich durch das Angebot durchgearbeitet habe, fällt meine Wahl auf zehn Touren. Eigentlich hätten es 100 sein sollen, aber das würden weder mein Kopf noch meine Beine aushalten. Mal abgesehen davon, sind diejenigen der Touren, die man vorbestellen muss, innerhalb weniger Minuten ausgebucht, fast so, als ob Ed Sheran und Beyoncé als Überraschungsgäste angekündigt wären.

Florentin in Tel Aviv
Typische Gasse in Südwestflorentin

Drei Touren habe ich für diesen Blog ausgewählt, nicht nur, weil sie von Touristen größtenteils unbeachtete Ecken Tel Avivs zeigen, sondern auch wegen der Menschen, die darin vorkommen.

Florentin in Tel Aviv
Graffiti in Florentin

Besucher aus aller Herren Länder sehen von Tel Aviv den schönen Süden mit der Altstadt von Jaffa, dem Rothschildboulevard, der Nahalat-Benjamin-Straße und dem Carmelmarkt, doch südöstlich davon sind die Viertel der Stadt buchstäblich aus Orangenhainen aufgetaucht. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kauften jüdische Einwanderer Teile der landwirtschaftlichen Flächen und bauten Viertel wie das Oz Hanegev oder Maccabi. Lustigerweise stand im Maccabi-Viertel das Stadium des Hapoel Fußballvereins. Deutschlandgerecht übersetzt wäre das ungefähr so, als ob in Gelsenkirchen das erste Stadium Borussia Dortmunds gestanden hätte. Das Stadium von Hapoel ist nach Süden umgezogen und heute das Bloomfeld-Stadium in Jaffa, das Maccabiviertel ist im Florentinviertel aufgegangen, doch die Grundstücksgrenzen der verschiedenen Orangenplantagen bilden bis heute das Hauptstraßennetz Florentins.

Während der nordöstliche Teil des Florentinviertels für geradlinige Straßenzüge gesäumt von unzähligen Bauhausgebäuden und Läden bekannt ist, verirrt sich in den Südwestteil nur derjenige, der zur Arbeit kommt. Auf circa einem Viertel Quadratkilometer befinden sich hunderte von Werkstätten, Metallschmieden, Großschneidereien, Autoreparaturen, Schreinerwerkstätten und Glasereien.

Florentin in Tel Aviv
Großschneiderei in Florentin

Während ich mein Auto wohl eher nicht in eine der Autowerkstätten bringen würde, es könnte ja sein, dass ich meinen Skoda mit einem Seitenspiegel von Fiat zurückbekomme, würde ich mir in der Schreinwerkstatt von Ilan sofort eine neue Küchensitzecke schreinern lassen. Laut Ilans Aussage steckt in jedem Menschen künstlerische Begabung, aber sie braucht einen kräftigen Hieb um zum Vorschein zu kommen. Bei Ilan war es ein Auto, dass ihn rammte, als er bei grün die Straße überquerte, und ihn schwer verletzt zurückließ. Auf Wochen im Koma folgte die fieberhafte Suche nach dem Täter und der anschließende Prozess. Der Rechtsanwalt der Ilan dabei vertrat hatte sein Büro in der Herzl-Straße und verspätete sich notorisch zu allen Terminen. Dem gelangweilten Teenager blieb also nichts anderes übrig, als die Zeit mit Spaziergängen totzuschlagen, an den Strand, den Rothschildboulevard rauf und runter ... Doch das Paradies erschien ihm in Form aneinandergequetschter, fensterloser Barracken, aus denen der Geruch von Holzstaub und Leim quoll ...

Carpentry Ilan Baraby, Florentin in Tel Aviv
Schreinermeister Ilan in seiner Werkstatt

Heute, über 50 Jahr später, betreibt Ilan immer noch seine Werkstatt, und während sich jede der hier ansässigen Schreinereien auf einen anderen Sektor, wie Küchenmöbel, Wohnzimmertische oder eben Sitzecken, spezialisiert, fertigt Ilan überwiegend Synagogeneinrichtungen; Toraschreine, Predigerkanzeln und Beschneidungsstühle, die in Synagogen im ganzen Land zu finden sind.

Doch langsam tauchen inmitten der einstöckigen Häuser moderne Wohnblöcke auf. Die Wohnungen in ihnen kosten wie überall in Tel Aviv ein Vermögen, und die wenigsten der Werkstattbetreiber wären imstande diese Preise zu bezahlen.

Pepo Alley Florentin in Tel Aviv
Pepos Gasse in Florentin

Während Ilan in den Sechsgeschossern aus Glas und Beton eine Bedrohung für die Atmosphäre der Nachbarschaft sieht, findet Pepo ein paar Gassen weiter, dass die Modernisierung ein Segen ist. 1952 wanderte er mit seiner Familie aus Griechenland ein und lernte schon bald, dass griechisch nicht nur die Sprache der klassischen Antike ist. Bei der Hannukafeier im Kindergarten verwünschte die Kindergärtnerin die hellenistischen Seleukiden aufs heftigste, schließlich hatten sie das jüdische Volk unterdrückt und den Tempel verunreinigt. Von diesem Tag an weigerte sich Klein-Pepo eine andere Sprache als Ivrith zu sprechen.

Carpenter Pepo, Florentin in Tel Aviv
Schreinermeister Pepo

Heute ist nach ihm eine der kleinen Gassen benannt, angeblich, weil er der Stadtverwaltung dafür 100 Schekel hinblätterte, doch tatsächlich war er 1968 der erste der hier eine Schreinerwerkstatt eröffnete und damit die Entwicklung des Gebietes ankurbelte.


Circa einen Kilometer Luftlinie Richtung Nordosten auf der Allenbystraße will ich mir unbedingt die Große Synagoge von Tel Aviv anschauen. Von außen habe ich sie schon viele Male gesehen, von innen noch nie.

Great Synagogue Tel Aviv
Innenraum der Großen Synagoge von Tel Aviv

Ich trete ein und blicke mit gemischten Gefühlen auf den Synagogenraum. Zwar wurde sie 1924/25 nach den Plänen von Yehuda Magidowitsch gebaut, doch vom Flair der Zwanziger ist nicht viel geblieben. Umfängliche Modernisierungsarbeiten in den 1960ern haben der Synagoge einen neuen Thoraschrein, etwas unproportionale Bogenreihen in den Frauengallerien und eine üppige Raumschiffbeleuchtung beschert. Etwas versöhnt werde ich durch die Bleiglasfenster mit ihren aufwendigen Darstellungen, so zeigen die Fenster der Domgalerie die wichtigsten Synagogen der Welt; Budapest, Berlin, Wien, Prag ... Das Licht fällt durch hunderte von Farbstücken und taucht jede Ecke in eine andere Atmosphäre.

Great Synagogue Tel Aviv
Bleiglasfenster der 1960er in der Großen Synagoge von Tel Aviv

Ein Lichtblick der etwas anderen Art begegnet mir vor dem Eingang der Synagoge: Mosche der Hausmeister. Als er meine Enttäuschung über die Sechzigerjahresünden sieht, winkt er ab. Glaube sei alles! Seiner wäre so fest wie die Betonpfeiler auf denen die Kolonnaden der Synagoge ruhen, auch wenn sie aus den Sechzigern sind. Ich nicke und nehme es mir zu Herzen.

Mosches Leben ist verwoben mit der Geschichte Tel Avivs. Mit 15 stand er als Page in der Lobby des Dan-Hotels, des damals ersten Hotels am Platz bzw. Strand. Es waren Zeiten in denen israelische Autos auf den Straßen fuhren, und man jeden Monat vom Lohn ein ganzes Haus kaufen konnte. Was Mosche auch prompt machte. Und dazu zwei Stände auf dem Carmelmarkt, ganz oben, dort wo man von Gucci-Tshirts bis Nike-Schuhen alles bekommt. Doch das Händlerdasein war ihm zu still. Er wechselte in den Norden der Stadt und eröffnete auf dem Campus des Studentenwohnheimes der Tel Aviver Uni die Bar “Focus“. Studenten und junge Tel Aviver feierten dort die Nächte durch, der Alkohol floss in Strömen und mit ihm Mosches Geld.

Great Synagogue Tel Aviv
Mosche, der Hausmeister der Großen Synagoge

Die Stände auf dem Carmelmarkt wurden verkauft, genauso wie das Mehrfamilienhaus, und schließlich sah sich Mosche gezwungen, die Bar aufzugeben, wollte er mit dem Kopf über Wasser bleiben. Der Kopf blieb über Wasser, steckt heute fast im Himmel, ganz nah bei Gott, und von großen Geschäften will Mosche nichts mehr wissen, es sei denn, der da oben ist sein Partner.


Wieder Richtung Süden ist die Salamestraße 48 mein Ziel, wo mich die Sommerresidenz der al-Said Familie und eine Geschichte aus Orangen erwartet.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwächelte das osmanische Reich, und in den Provinzen wurde die Verwaltung mehr und mehr lokalen Authoritäten übertragen, so auch die der ausgedehnten Obstplantagen im Osten Jaffas. Unter den Früchten die auf diesen Plantagen gediehen war die Schamuti-Orange der Star. Süß, fast kernlos und leicht zu schälen wurde sie in Europa als Jaffa-Orange bekannt und zierte die Tische der Reichen und Adeligen bis hin zu Königin Victoria. Doch Orangenbäume brauchen viel Wasser, 60 Liter pro Tag pro Baum, und so wurden Bunnenhäuser gebaut, die das Wasser aus der Tiefe holten und mittels eines verzweigten Kanalnetzes verteilten.

Salame Street 48, Tel Aviv
Außenansicht der Sommerresidenz der al-Said Familie

Es dauerte nicht lange, und die arabischen Grundbesitzer entdeckten, dass es sich unter blühenden Zitrusbäumen angenehmer leben ließ als in der Enge der Altstadt von Jaffa. Sie verwandelten die einstöckigen Gebäude in Sommerresidenzen, indem sie eine zweite Etage aufsetzen und mit allem Prunk der Zeit ausstatten ließen. Das Geld dafür kam von den Orangen. Im Gegensatz zu anderen exotischen Früchten nämlich, hielten Orangen den Exportbedingungen vor hundert Jahren stand. Sie blieben ohne Konservierung und Kühlung vier bis sechs Wochen frisch, genau die Zeit die ein Schiff brauchte, um sie übers Meer nach Europa zu bringen. Dort wurden in die leeren Schiffsbäuche Fichtenholz aus Rumänien, Marmor aus Italien und Dachziegel aus Frankreich geladen.

Salame 48, Tel Aviv
Punksaal im Obergeschoss der al-Said Residenz

Assem Bek al-Said, von 1919 bis 1938 Bürgermeister von Jaffa und prominentester Resident in Salame 48 konnte die Baumaterialien gut gebrauchen. Aus dem Holz wurden prächtige Decken für die Empfangssäle gezimmert, der Marmor bedeckte die Fußböden und wurde zu schmucken Säulen, und die roten Dachziegel gaben dem Gebäude ihr unverwechselbares Aussehen.

Im Gegensatz zu manch anderer hat die Sommerresidenz der al-Said Familie die Zeit fast unversehrt überstanden, sogar ein Teil der originalen Fenster aus den 1920ern ist noch erhalten. Doch nach unserer Tour ist erstmal Schluß mit Besichtigungen. In Kürze beginnen umfangreiche Renovierungen die die Pracht des Gebäudes in altem-neuen Glanz erscheinen lassen sollen.

Sollten Sie nächstes Jahr im Sommer in Tel Aviv sein, profitieren Sie davon sich für einige dieser Touren anzumelden. Auch wenn Sie kein Wort verstehen!

Die Webseite der Tel Aviver Stadverwaltung hat auf jeden Fall eine englische Version:

https://www.batim-il.org/en/


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