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Mein Senf zu Israel

Und wieder ist Krieg!

Eigentlich wollte ich ja schon lange mal wieder einen leichten, unterhaltsamen Blog schreiben. An Themen dazu mangelt es mir nicht. Schließlich trage ich schon seit Jahren Ideen zusammen, wie zum Beispiel „Einmal um die Stadtmauern von Jerusalem, „die armenische Jerusalemkeramik“ oder „der Wächter der Großen Synagoge in Tel Aviv“. Doch die Zeit zum Blogschreiben fehlt mir. Der Großteil meiner Energie geht in die Führungen, und der Rest wird am Abend gerecht an die Familie verteilt. Wir haben Anfang Oktober, mein Terminkalender ist voll, und ich stelle mich auf eine intensive Saison mit bis zu 14 Führungen am Stück ein. Ich freue mich auf meine Gäste, denen ich nicht nur Jerusalem und Tel Aviv, sondern auch das Tote Meer und den Norden Israels zeigen darf.

Doch dann kommt alles anders als gedacht. Innerhalb eines Tages fällt die Zukunft, die ich mir ausgemalt habe, auseinander.


die leere Ankunftshalle des Tel Aviver Flughafens

Am Morgen des 7. Oktober durchbrechen Kampftruppen der Hamas die Grenzbefestigungen zwischen dem Gazastreifen und Israel und überfallen israelische Siedlungen und das Musikfestival Supernova. In Kisufim, Re’im, Be’eri, Alumim, Nahal Oz, Kfar Aza, Sderot ... werden Menschen verstümmelt, vergewaltigt, gequält, ermordet. Die Terroristen nehmen Zivilisten und Militärpersonel als Geiseln und hinterlassen eine Flut der Zerstörung. Es dauert Tage, bis das Ausmaß des Angriffs deutlich wird. Die Identifizierung der Opfer dauert bis heute an.

Ich lasse den Fernseher ausgeschaltet – die invasive Berichterstattung der zweiten Intifada sitzt mir noch in den Knochen – und erfahre das Wichtigste aus dem Internet. Kleindosiert und handverlesen. Ich will diese Realität nicht wahrhaben, aber die Ereignisse ziehen mich mit.

Innnerhalb kürzester Zeit werden Internetgruppen gebildet, die Kleidung, Möbel, psychologische Betreuung, Fahrdienste, Lebensmittel und Unterkünfte für die Familien, die aus dem Süden evakuiert wurden, organisieren. Auch meine Nachbarin gehört zu den gut Verknüpften. Eine Gartenmauer von mir entfernt sagt sie: „Die Zeiten sind absolut dunkel, aber ich will nicht im Dunkel versinken. Sieh es doch mal so. Es gibt soviel Solidarität und Hilfsbereitschaft. Da ist soviel Licht!“

Ein paar Stunden später bin ich in zwei Gruppen registriert, in „Pardes Hanna mobilisiert“ und in der „Grünen Brigade“. Die erste Gruppe organisiert Hilfe, wo auch immer und welche auch immer notwendig ist. In die zweite Gruppe trete ich ein, weil ich gern in der Natur arbeite. Zwar ist mir am Anfang unklar, warum auch die Landwirte unserer Region (Zentralisrael) auf einmal auf Freiwillige angewiesen sind, aber Hilfe kann nie schaden.

Da alles noch in den Anfängen steckt, geht es ein wenig drunter und drüber. Die Annahmestelle, zu der ich meine Kleiderspende bringe, ist mit Säcken und Kartons überflutet. Es fehlt hinten und vorn an Leuten, die die Kleidung nach Sommer- und Winterkleidung und nach Größen sortieren. Auch im Restaurant nebenan geht es hektisch zu. 1000 Schabbatportionen sollen für Soldaten an der Südfront gekocht werden. Das kleine Restaurant ist mit der Menge völlig überfordert, also bitten sie Freiwillige darum, auch Zuhause zu kochen und die Gerichte ins Restaurant zu bringen. Ich mache einen Hühnerschmortopf mit Reis. Als ich mit meinem Essen in Plastikdosen ankomme, freut sich die Chefin. Die unzähligen Töpfe und Auflaufformen, die sich mittlerweile angesammelt haben, können nämlich nicht bruch- und auslaufsicher weitergeschickt werden, und so ist ein ganzes Team damit beschäftigt Fleisch, Nudeln, Gemüse in Plastikbehälter umzufüllen, die langsam knapp werden.


eine für Flüchtlinge aus dem Süden hergerichtete Wohnung in Givat Ada

Als ich an der Wohnung in Givat Ada ankomme, die für zwei Familien aus dem Süden hergerichtet werden soll, wird es unübersichtlich. Unzählige Leute drängen sich im Flur und in den kleinen Zimmern aneinander vorbei. Keiner weiß, wer eigentlich wen herbestellt hat, aber alle machen etwas. Innerhalb von ungefähr fünf Stunden ist die heruntergekommene Wohnung gestrichen, geputzt, Möbel aufgestellt, die Küche aufgeräumt und die Betten bezogen.


Granatapfelernte in Ein Amikam

Und dann melde ich mich zur Granatapfelernte in Ein Amikam. Während ich mich nicht getraue zu fragen, warum die israelische Landwirtschaft jetzt Freiwillige braucht, tut es einer der anderen Helfer. Die israelische Landwirtschaft liegt zu großen Teilen in den Händen thailändischer Saisonarbeiter. Doch nach den Ereignissen im Süden wollen viele von ihnen nicht mehr in Israel bleiben. Über 50 wurden ermordet und nach Gaza entführt. Gemüsefelder, Weinberge, Obsthaine, Kuhställe und Hühnerfarmen nicht nur im Süden, sondern auch in allen anderen Regionen des Landes drohen unterzugehen. Deshalb stehe ich morgens um sieben in der Plantage und ernte allen Dornen und Hindernissen zum Trotz Granatäpfel. Während ich die Früchte vom Baum schneide, erfahre ich auch, warum Leute in Krisenzeiten Toilettenpapier horten. Das home front command hat die Nachricht herausgegeben, dass man in den Luftschutzräumen Vorräte für mindestens 72 Stunden anlegen soll. Umgehend stürmen die Israelis die Supermärkte und kaufen Vorräte für mindestens drei Wochen. Das Regal fürs Klopapier ist dabei zuerst leer, denn nicht nur auf dem Klo ist es unerlässlich, sondern auch im Kühlschrank leistet es gute Dienste, indem es unerwünschte Gerüche aufnimmt. Und außerdem lässt es sich auf einer Packung Toilettenpapier wunderbar bequem sitzen. Stellen sie sich doch mal vor, sie laden mehr Gäste ein, als sie Stühle Zuhause haben!


Unkrautjäten in Zerufa

Mein nächster Einsatz bringt mich zum Unkrautjäten nach Zerufa. Die Gewächshäuser müssen für die Pflanzung der nächsten Gurkengeneration vorbereitet werden. Mit mir nehmen Rimon und Or das Unkraut in Angriff. Beide kommen aus dem Norden Israels, Rimon aus Shar Hayeshuv und Or aus Shlomi. Seit über zwei Wochen sind sie evakuiert. Mit dem Raketenbeschuß der Hamas und der Hisbollah aus dem Libanon läßt sich der Alltag auch im Norden des Landes nur schlecht weiterführen, und so bremst mitten in den Abivorbereitungen das Leben ab und schlägt einen anderen Kurs ein. Während Rimon mit 18 Familienangehörigen in einem unverkauften Einfamilienhaus in Sichron Yacov eingezogen ist, wohnt Or mit den Eltern bei der Tante in Kiriyat Haim. Es klingt ein wenig nach Kurzurlaub oder Familienbesuch, aber in Wirklichkeit ist es unvorstellbar. Die jugendliche Unbekümmerheit ist vergangen. Beide wollen erstmal arbeiten. Rimon im Fahrradladen, Or in der Hortbetreuung einer Schule. Bloß nicht die Hände in den Schoß legen, dann würde die Ungewissheit, wie es weitergeht, unerträglich werden.


in der Bananenplantage von Sdot Yam

In der Bananenplantage von Sdot Yam geht mir ein Licht auf. Zwar sind Bananen einjährige Pflanzen, aber das heißt nicht, dass jedes Jahr neu gepflanzt wird. Stattdessen erneuert sich die Banane aus sich selbst. Unermüdlich bildet sie neue Sprösslinge, die aus der Ausgangsstaude eine Mutter-, Großmutter- oder Urgroßmutterplanze machen. So trägt jede Bananenfamilie Früchte in unterschiedlichen Reifestufen, die, sobald sie einen bestimmten Zuckergrad erreicht haben, zum Schutz vor unerwünschten Konsumenten mit blauen Plastiksäcken ummantelt werden. Da die Erntehelfer aber nun nicht jeden Plastiksack aufreissen können, um zu schauen, ob die Bananen darin schon geerntet werden können oder nicht, werden aller paar Wochen Bänder in wechselnden Farben an die neuen Stauden gebunden. Die Bänder, mit denen wir die Stauden markieren, die gerade Blüten ausgebildet haben, sind gelb. Nach zwei Stunden im Bananendschungel bin ich mir relativ sicher, dass die Stauden, die als nächstes abgeerntet werden können, rote Bänder tragen.

Neben mir taucht ein bärtiger Mann auf. In der Hand eine Sprühflasche mit Diesel, den er gegen Insektenbefall an die Stauden sprüht. Am Gürtel ein Telefon aus dem der Gesang einer Koransure erklingt. Ich überlege, dass sich die Melodien des Koran und die der Thora ziemlich ähnlich sind. Gleichzeitig läuft in meinem Kopf ein Film ab, in dem der Moslem die Bananenplantage anzündet. Richtig gut brennen würde es nicht, dafür sind die Stauden zu saftig und der Boden zu morastig. Ich würde wohl eher am Rauch ersticken. Doch bevor es dazu kommt, gebe ich mir in Gedanken eine Ohrfeige. Seit wann bin ich so hysterisch?

Die fake news der sozialen Medien leisten ganze Arbeit. Dabei bin ich ihnen noch nicht mal direkt ausgesetzt. Meine Freundin Keren dagegen schon. Sie ist hinter der Kasse ihres Kinderbekleidungsgeschäftes zusammengesunken. Wieviele Araber ich kenne, die nach dem 7. Oktober bei ihren jüdischen Freunden und Bekannten angerufen und sich erkundigt haben, ob sie ok sind, fragt sie mich. Man kann ihnen nicht trauen, fährt sie fort, dieser Horror passiert, und sie schauen weg, relativieren oder lobpreisen sogar. Sie geben vor unsere Freunde und Kollegen zu sein, und sobald wir uns umdrehen, rammen sie uns ein Messer in den Rücken. Aus ihrer Haut kommen die Palästinenser eben nicht raus!

„Sie hat wahrscheinlich die Filme gesehen.“, sagt eine andere Freundin. Gemeint sind die Aufnahmen der Bodycams der Terroristen und die Berichte der ersten Fernsehteams, die an den Tatorten eintrafen. Sie sind schwer auszuhalten. Und so ist auch mein Tischnachbar der Meinung, dass nur harte Gewalt und Unnachgiebigkeit eine klare Botschaft an die Palästinenser sendet.

Ich bin bestürzt, denn die Sache ist viel komplexer. Der arabische Krankenpfleger im Krankenhaus meines Schwiegervaters spricht von einer Katastrophe, die über uns hereingebrochen ist. „Aber wir werden das überstehen“, sagt er. Als er weg ist, schaut mich meine Schwiegermutter an. Sie weiß weder was sie denken, noch was sie sagen soll. Schließlich meint sie: „Er redet von “wir“ und “uns“ ... Er tut mir leid ... Irgendwie fühlt sich das komisch an.“

Die arabischen Israelis, die zu den Ereignissen nichts sagen, müssen sich oft anhören, dass sie keine Israelis sind, und diejenigen, die mitleiden, bekommen im schlimmsten Fall zu hören, dass sie keine Juden sind. Mehr noch, seit dem 7. Oktober gibt es auch unzählige schuldlose Opfer auf der palästinensischen Seite zu betrauern ... Ich glaube, die Frage, wer bei wem anruft, um sich zu erkundigen, ob alles ok ist, ist schlicht und ergreifend irrelevant!

Während ich im Krankenhaus bin, haben wir zweimal Luftalarm. Der Schutzraum liegt genau gegenüber des Zimmers meines Schwiegervaters. Während meine Schwiegermutter und ich in den Schutzraum laufen, muss mein Schwiegervater bleiben wo er ist. Angeschlossen an Apparate und Monitore kann er nicht ohne weiteres bewegt werden, und im Luftschutzraum wäre für sein Bett kein Platz. Während die Sirene gellt, kann ich ihn durch die geöffneten Türen sehen. Ich wünsche mir so sehr, dass er aus seinem Dämmerzustand aufwacht, mit uns redet, wieder an unserem Leben teilnimmt, doch in solchen Momenten bin ich froh, dass er seine Umwelt nicht mehr wahrnimmt.

Auf dem Nachhausweg fahre ich 120 wo ich eigentlich 90 fahren sollte. Ich will ungern auf der Autobahn von Luftalarm überrascht werden. Die Anweisungen für diesen Fall lauten, die Fahrt zu unterbrechen und im nächsten Straßengraben Schutz zu suchen. Was für Schutz soll das schon sein, wenn die Raketen von oben kommen? Die anderen Fahrer müssen das ähnlich sehen wie ich. Ich werde ständig überholt.


Demonstration für die Freilassung der Entführten in Pardes Hanna

Als ich in Pardes Hanna bei der kleinen Demonstration ankomme, die für die sofortige Freilassung der von der Hamas Entführten stattfindet, hupen die meisten vorbeifahrenden Autos zustimmend. Zwei alte Männer aber ereifern sich. Jetzt sei nicht die Zeit sich um Entführte zu kümmern, schließlich befänden wir uns im Krieg! So als ob man im Krieg jegliche Menschlichkeit verlieren müsste, um siegen zu können!

Ein Freund, der in Aschkelon lebt, schreibt mir auf meine Frage, wie es ihm und seiner Familie geht:

„Körperlich bin ich ok, was ein kleines Wunder ist, aber mein Herz ist gebrochen. Die Bilder, die ich am 7., 8., 9. ... Oktober gesehen habe, werden mich für immer begleiten. Meine Familie ist ok. Sie ist nicht in Israel. Ich bin seit dem 7. Oktober eingezogen, voller Wut, Rage und Hass. Ich habe nie gehasst, aber jetzt tue ich es. Jetzt ist es persönlich.“ ...

Ich wünsche ihm und allen israelischen Soldaten, wo auch immer sie eigesetzt sind, dass sie heil und gesund zurückkommen mögen!

Diesseits und jenseits der Grenze zum Gazastreifen sind Unschuldige gestorben und werden weiter Unschuldige sterben! Die Hamas ist eine Terrororganisation und ihre Mitglieder sind Terroristen! Sie kämpfen nicht für ein heres Ziel, sondern sie sind, wie soviele Machthaber, unheilbare Drogenabhängige. Die Droge, der sie verfallen sind, heißt Macht, und solange diese Droge nicht vom Markt ist, werden Ihr immer weiter und immer wieder Unschuldige geopfert.

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