Felsendom und al-Aqsa-Moschee - von Innen!
Updated: Oct 26, 2020
Bis zu dem Moment, an dem ich, außerhalb der Touristenöffnungszeiten, durch das Tor, das auf den Tempelberg führt, hindurchgehe, kann ich es nicht glauben: Ich werde den Felsendom von innen sehen!
Möglich gemacht hatte es eine Mitarbeiterin des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande, die den Direktor des (in Ermangelung einer halbwegs korrekten Übersetzung lasse ich es einfach mal so stehen) „guiding and translation department“ der waqf (der islamischen Religionsbehörde), die den Tempelberg verwaltet, kannte. Man hört es an der Verschachtelung des Satzes schon: Entweder kennt man die richtigen Leute, oder man ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Bei mir lag es irgendwo in der Mitte: Ich kannte jemand, der jemanden kannte, der wusste das ...
Und so stehe ich an einem heißen Julitag vor dem Osttor des Felsendomes, das sich vor mir öffnet und mich in eines der schönsten Gebäude der Welt eintreten lässt.
Es ist eines, den Felsendom von außen zu sehen und zu erklären, dass der blaue Kachelmantel das erste Mal im 16. Jahrhundert von Sultan Suliman dem Prächtigen angebracht wurde, und dass die Kuppel 1993, nach fast 1000 Jahren, wieder eine richtige Vergoldung erhielt, doch es ist etwas vollkommen anderes, demjenigen, der es nicht sehen kann, zu beschreiben wie der Felsendom von innen aussieht. Meistens fallen mir dazu nur so dürftige Worte wie „einfach wunderschön“ ein.
Ich habe fotografiert wie eine Wilde und dabei kaum auf das geachtet, was unser Führer erzählt hat. Ich sollte mich schämen! Nun muss ich selbst zusammenkratzen, was es Wissenswertes über den Felsendom gibt. Doch zusammen mit den Bildern vom Besuch sollte eine halbwegs richtige Berichterstattung klappen.
Schaut man in das Innere der Kuppel des Felsendomes, dann sieht man zwei Arten von Dekoration: der obere Bereich ist mit Malereien verziert und der untere Teil der Kuppel mit Mosaiken.
Die Goldmalereien des oberen Bereiches stammen aus dem 11. Jahrhundert von Kalif al-Zahir,
der die Kuppel nach einem Erdbeben neu erbaute und ausschmückte. Doch schon 150 Jahre danach restaurierte Sultan Saladin erneut und fügte eine Inschrift hinzu, die golden auf grün besagt, dass er die Dekorationen des Kuppelinneren neu vergolden ließ.
Die Mosaike im unteren Teil der Kuppel wurden zwar ebenfalls mehrfach renoviert, aber sie sind viel älter, nämlich über 1100 Jahre, und stammen aus der abbasidischen Zeit die im 8. Jahrhundert u.Z. begann.
Den Wettbewerb um die meisten Jahre in der Tasche jedoch gewinnen die Mosaike, die die Arkaden des Achteckes verzieren. Sie datieren in das Jahr 691/92 u.Z., und die umlaufende Inschrift darin wurde von keinem anderem als Abd el-Malik, dem Erbauer des Domes, angebracht.
Mögen es mir die Kunsthistoriker mit Schwerpunkt frühe Kirchenmosaike verzeihen, wenn ich falsch liege, aber die Mosaike des Felsendomes könnten auch an die Wände der San Vitale Kirche oder des Mausoleum Galla Placidia in Ravenna passen. Man sieht Vasen aus denen Reben voller Weintrauben wachsen, juwelenbesetzte und geflügelte Kronen, Blüten, Früchte und überall die Blätter des accanthus spinosus (des stacheligen Bärenklaus), die sich zu geometrischen Mustern verbinden.
Geografisch gesehen bin ich damit wahrscheinlich übers Ziel hinausgeschossen, denn Inspirationen für die Innengestaltung des Felsendomes konnten die Erbauer auch direkt vor der Haustür finden, in den alten byzantinischen Kirchen und Klöstern des Heiligen Landes. Doch deren Mauern wurden von Kriegen und Erdbeben heimgesucht, und wenn sie nicht eingestürzt sind, so sind zumindest die Verzierungen, die sie aufwiesen, längst verschwunden. Die Forscher müssen also zum Vergleich mit dem vorlieb nehmen, was noch da ist: Fußbodenmosaike. Und die zeigen zwar nicht den üppigen Gebrauch von Gold, aber ähnliche Muster aus Accanthsublättern, Vasen und Weinranken wie der Felsendom.
Zur symbolischen Bedeutung der Innendekoration des Felsendomes gibt es verschiedene Interpretationen. Sie gedenkt natürlich Mohammeds nächtlicher Reise und Himmelfahrt. Doch darüber hinaus könnte sie den Triumpf des Islam darstellen oder auf die letzte Offenbarung hinweisen. Am schönsten finde ich persönlich die Auslegung, dass die Malereien und Mosaike Heiligkeit, Reichtum und Macht wiederspiegeln und somit ein Sinnbild des Paradieses darstellen.
Eine hitzige Debatte entspinnt sich auch darum, woher der Felsendom seine achteckige Form hat. Aus Aussehen und Größe läßt sich am einfachsten schlussfolgern, dass sich die Erbauer die Form von römischen Mausoleen beziehungweise frühbyzantinischen Erinnerungskirchen abgeschaut haben. Da ist was dran! Legt man nämlich zum Beispiel den Grundrissplan von Felsendom und Kathismakirche, dem Ort der ersten Wehe Marias an der Straße nach Bethlehem, nebeneinander, kann man die beiden Gebäude leicht verwechseln, so ähnlich sind sie sich.
Schaut man jedoch aufs Detail sieht man Unterschiede. Der Felsendom hat weder eine spezifische Ausrichtung noch ein Hauptportal wie es achteckige Kirchen oder Mausoleen normalerweise haben. Man könnte also die Wahl des Achtecks als Grundform mit einem philosophischen Verständnis der Geometrie erklären, doch eine tiefere, religiöse Bedeutung rührt aus der islamischen Endzeitvorstellung: der Felsendom reflektiert Gottes Tun am Tag des Jüngsten Gerichtes.
Noch ganz ergriffen von all der Pracht treten wir wieder hinaus in den grellen Sonnenschein, und ich lockere meinen Schleier. Unser Führer schüttelt den Kopf. Gut, denke ich, dann behalte ich ihn auf, auch wenn wir nur auf dem Tempelberg stehen. Doch unser Führer läuft geradewegs auf den Eingang der al-Aqsa-Moschee zu. Wir hinterher. Dabei schaue ich mich mit eingezogenem Kopf um und erwarte, dass gleich jemand auf uns zuspringen und uns zurückscheuchen wird. Aber es kommt niemand. Wir treten ungehindert unter die Bögen der Moschee, wo ich mit zitternden Händen meine Sandalen ausziehe ...
Von außen wirkt die al-Aqsa-Moschee eher klein, besonders wenn man vor der Schmalseite, in der sich der Haupteingang befindet, steht. Sie wirkt auch nicht besonders islamisch oder orientalisch, von den Zierbögen im oberen Teil abgesehen. Doch einmal eingetreten, glaubt man ohne zu Zögern, dass die al-Aqsa-Moschee die drittwichtigste Moschee der Welt ist und das schon seit über 1250 Jahren.
Der Innenraum ist riesig und strahlt eine ehrfurchtgebietende Altertümlichkeit aus. Dabei ist vieles renoviert.
Hölzer des Dachstuhles mußten nach dem Erdbeben von 1927 und später in den 1960ern ausgetauscht werden. Diejenigen der Balken, die Verzierungen aufwiesen, wurden ins Rockefeller-Museum vor den Toren der Altstadt gebracht, wo sie bis heute Highlights der Dauerausstellung sind. Die Geschichte der einfachen Balken dagegen ist traurig. Viele wurden als Altholz verkauft, manche sind verbrannt, andere verrotten bis heute neben dem Goldenen Tor. Von ungefähr 140 Hölzern jedoch konnten Proben genommen werden, an denen das dentrochronologische Labor des Institutes für Archäologie und Kulturen des Nahen Ostens der Uni Tel Aviv Untersuchungen durchführte. Es stellte sich heraus, dass viele der Stämme aus türkischer Eiche und libanesischer Zeder sind, und einige wenige aus Zypresse und Platane gefertigt wurden. Wenig überraschend datieren die meisten in die Zeit der Erbauung der Mosche oder kurz danach, als erste Renovierungen durchgeführt wurden. Andere Balken dagegen sind älter.
Die Bäume dafür wurden in der bzyantinischen oder römischen Zeit gefällt, und an zwei von ihnen legte man sogar schon in der Eisenzeit die Axt. Der eine, ein Zederstamm, ist 2600 Jahre alt, der andere, eine Eiche, ist 2800 Jahre alt, +/- 180 Jahre Fehlerspanne. Sie müssen also schon in einem Gebäude verbaut gewesen sein, das lange vor der al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg gestanden hat.
1969 kam die nächste Katastrophe. Die Moschee brannte und mit ihr die fast 1000 Jahre alte kostbare Minbar, die hölzerne Predigerkanzel. Nur al-Din hatte sie anfertigen lassen und kein geringerer als Sultan Saladin, der Jerusalem 1187 von den Kreuzfahrer zurückeroberte, hatte diese Kanzel gestiftet. Heute kann man in der Moschee nur noch einen 1993 von König Hussein von Jordanien in Auftrag gegebenen Nachbau bewundern.
Auch in der al-Aqsa-Moschee lohnt es sich, hoch in die Kuppel vor der Mihrab zu schauen.
Dort befinden sich üppig und farbenprächtig wie eh und je Überreste der fast 1000 Jahre alten Mosaike aus der Zeit der Fatimidenkalife. Ich lege den Kopf in den Nacken und staune, doch die Zeit läuft ab. Unser Führer bedeutet uns, dass wir die Moschee verlassen müssen. Nur noch eine Viertelstunde und das Mittagsgebet beginnt ...
Ich möchte nicht gehen, muss aber, und während ich versuche, soviel der Atmosphäre wie nur möglich in mich aufzunehmen, hoffe ich, dass es bis zum nächsten Mal nicht wieder 20 Jahre dauern wird.