Das liebreizende Erbe der Mameluken
Updated: Oct 26, 2020
Ich streife schon seit ewigen Zeiten durch die Altstadt Jerusalems, aber erst letztens ist es mir aufgefallen: die anmutigsten Bauwerke haben nicht die Israeliten gebaut. Auch nicht die Babylonier, Assyrer oder Perser, zumindest nicht hier im heiligen Land! Die Römer und Byzantiner scheiden ebenfalls aus. Bei ihnen ging es eher um Prunk und Pracht an der Fassade. Der Felsendom und die al-Aqsa Moschee sind definitv Sternstunden frühislamischer Baukunst, aber mit einem Haken: Um all die Anmut sehen zu können, muss man in die Bauwerke hineinkommen ...
Also wer sind denn nun diejenigen, die die bezaubernsten Gebäude in Jerusalem gebaut haben?
Die Bauherren sind eine wenig beachtete Dynastie, zumindest hier in Israel: die Mameluken. Sie kennen Sie nicht? Keine Sorge! Die Mameluken sind soetwas wie die Stiefkinder der Geschichtsschreibung des Heiligen Landes. Zwischen Sultan Saladin und Sultan Suliman dem Prächtigen sind sie ein wenig ins Abseits gerutscht. Dabei beherrschten sie zwischen 1250 und 1517 nicht nur das Heilige Land, sondern auch Ägypten und Teile der arabischen Halbinsel.
Die Mameluken tauchten nicht aus dem Nirgendwo auf. Das erste Mal wurden sie schon im 9. Jahrhundert u.Z. erwähnt: als Kriegersklaven. Da nämlich hatte Kalif al Mu’tasim die Idee, sich eine Leibwache aus jungen Sklaven aufzubauen, die er aus aller Herren Länder zu sich an den Hof bringen und zu Kriegern ausbilden ließ. Die Rechnung ging auf: Loyalere Krieger als die Mameluken konnten sich die Kalifen fortan nicht wünschen. Vierhundert Jahre später allerdings erhoben sich die Mameluken gegen ihre Herren, stürzten in Kairo die Dynastie Sultan Saladins (die Ayyubiden) und machten sich selbst zu Herrschern.
Getreu ihrer Ausbildung verzeichneten die Mameluken während ihrer Herrschaftszeit sensationelle Erfolge auf dem militärischen Gebiet. Was Sultan Saladin 1187 bei der Schlacht an den Hörnern von Hattin begonnen hatte, vollendeten die Mameluken 1291. Sie vertrieben die Kreuzfahrer endgültig aus dem Heiligen Land, und 1250 stoppten sie mit der Schlacht an der Quelle von Ain Dschalut erfolgreich den Vormarsch der Mongolenheere nach Westen und bewahrten Afrika vor einer mongolischen Invasion. Doch während sie auf dem Schlachtfeld wild drauflosschlugen, ließen sie zur gleichen Zeit in Jerusalem die liebreizensten Gebäude erbauen.
Wer einmal ein mamelukisches Gebäude entdeckt hat, kann alle anderen problemlos im Stilmix der Epochen finden. Mamelukische Gebäude zeichnen sich durch Muqarnas aus, tropfsteinartige Verzierungen der oberen Abschlüsse von Nischen und der Übergänge zwischen Unterbau und Kuppel. Die Fassaden der Gebäude sind meist in Ablaq-Technik dekoriert, wobei verschiedenfarbige Steine zu, mal mehr, mal weniger feinen, geometrischen Mustern zusammengesetzt werden. Die Fenster sind mit Gittern geschützt, bei denen die Kreuzpunkte der vertikalen und horizontalen Streben durch Kugeln verziert sind. Und schließlich und letztlich ist das Innere von kleinen Kuppeln und Nischen oft mit Muscheldekor verziert, so schön, dass die Baumeister des Rokkoko eigentlich vor Neid erblassen müssten.
Es sind nur ein paar Straßen und Stellen in der Altstadt von Jerusalem, wo man Gebäude der mamelukischen Ära finden kann:
am König Feisal Tor, das auf den Tempelberg führt, auf dem Tempelberg selbst, im Cotton Market, in der At-Takkiyya-Straße, der Al-Khalidiyya-Straße, der Bab el Hadid-Straße und der Bab el Sisleh-Straße. In der Bab el Sisleh-Straße hat das einen besonderen Grund, im wahrsten Sinne des Wortes. Als die Mameluken Jerusalem eroberten, waren sie garnicht davon begeistert, dass sie, wenn sie von Westen kamen, zunächst ins Hagaital hinuntersteigen mussten, um auf der anderen Seite zum Tempelberg mit Felsendom und al Aqsa Moschee wieder hinaufzusteigen. Kurzerhand errichteten sie parallel zu den Überresten des herodianischen Aquäduktes, der einstmals Wasser auf den Tempelberg brachte, weitere Reihen von Bögen, die schließlich eine solche Breite erreichten, dass man darauf Häuser bauen und dazwischen eine Straße anlegen konnte, die die moslemischen Gläubigen, ohne aus der Puste zu kommen, geradewegs zur al Aqsa-Moschee führte.
Aber nun zu den Gebäuden:
Ich habe mir zwei ausgesucht, nicht nur weil sie einfach schön sind, sondern auch weil sie eine ganz besondere Geschichte haben. Das eine ist die Khalidiyya Bibliothek in der Bab el Sisleh-Straße. Heute die größte private Sammlung mittelalterlicher, arabischer Manuskripte in Jerusalem, wurde das Gebäude ursprünglich im 13. Jahrhundert als Mausoleum gebaut. Als ich anno dazumal meinen Reiseleiterkurs absolvierte, und wir unter dem Thema moslemisches Jerusalem unsere Runden durch die Altstadt drehten, habe ich mir vor der Bibliothek nur faul “Grab von Berke und seinen Söhnen“ notiert. Hätte ich nur aufmerksamer zugehört! Später zu Hause und auf der Suche nach Infos zu Berke präsentierte das Internet mir Ahnungslosen zuerst Berke Khan. Und der war niemand Geringeres als der Enkelsohn von Dschingis Khan und Führer der Goldene Horde. Berkes letzte Ruhestätte wird nirgendwo erwähnt, und darüber hinaus war er der erste Mongolenkhan der zum Islam konvertierte ... Ich wurde hibbelig. Könnte es sein, dass in der Altstadt von Jerusalem ein Enkel von Dschingis Khan begraben liegt? Im nächsten Moment stutzte ich. Warum in Jerusalem? Ausgerechnet in der Stadt, die fest in den Händen der Feinde der Mongolen, der Mameluken, war? Während immer mehr Zweifel an mir nagten,
suchte ich also weiter. Der nächste der mir eher zufällig im Internet entgegenstolperte, war Muhammad Barakah Qan, der Sohn des mächtigsten aller Mamelukensultane: Baibars. Aber um mit seinen erwachsenen Söhnen begraben zu werden, hätte Barakah Qan älter als zwanzig Jahre werden müssen, und da er ohne Söhne, aber neben seinem Vater Baibars schon in der Az-Zahiriyah Bibliothek von Damaskus begraben wurde, konnte er nicht gleichzeitig in Jerusalem liegen ... Tja, hätte ich doch gleich die Website der Khalidiyya Bibliothek angeklickt. Der geheimnisvolle Barka Khan der dort begraben liegt, hat durchaus etwas mit Sultan Baibars zu tun, allerdings in umgekehrter Generationenfolge. Barka Khan war Baibars Schwiegervater und der Großvater von Barakah Qan ... Aber das einfach, schnell und schnöde nachzulesen, wäre doch nur halb so abenteuerlich gewesen, wie meine wilde Spekulation darüber, welche hochnoblen Khane und Sultane in kaum bekannten Mausoleen der Jerualemer Altstadt herumliegen könnten.
Das zweite Gebäude ist der Palast der Dame Tunschuk. Tunschuk war weder die Tochter einer großen Berühmtheit noch mit einer solchen verheiratet. Ganz im Gegenteil, ihr Beiname al-Muzaffariyyah führt ins Leere. Es gibt weder einen solchen Clan noch einen solchen Titel, der mit ihr in direkte Verbindung gebracht werden könnte. Dies allerdings hielt die edle Dame nicht davon ab, einen der schönsten Paläste Jerusalems zu bauen, von dem sie Teile einem Sufi-Orden zur Verfügung stellte. Als sie im Jahr 1398 starb, wurde sie im Mausoleum gegenüber beigesetzt.
Es verging mehr als ein Jahrhundert und das Heilige Land wurde von Sultan Suliman
erobert. Der Sieg der Osmanen veränderte ganz Jerusalem, doch für den Palast der Dame Tunschuk war Sulimans Harem, beziehungsweise eine bestimmte Frau seines Harems verantwortlich: Roxelana. Von Krimtartaren wohl während eines Sklavenfeldzuges aus Osteuropa verschleppt, stieg sie innerhalb kürzester Zeit zur Lieblingskonkubine Sulimans
auf, und als er sie 1533 heiratete, wurde sie zur mächtigsten Frau des Osmanischen Reiches. So mächtig, dass ihr Einfluß auch in der entlegenen Provinz Palästina spürbar wurde. Roxelana ließ den ehemaligen Palast der Dame Tunschuk zur Residenz umbauen und richtete eine Suppenküche zur Speisung der Armen ein. Nach Roxelanas Tod wurde der
gesamte Palast zum Sitz eines wohltätigen Vereins, und im 19. Jahrhundert stieg das Gebäude zum Serail auf. Der osmanische Gouverneur von Jerusalem und die Polizei bezogen hier ihre Residenz.
Wenn ich es mir genau überlege, bin ich eigentlich ungerecht! Der Palast von Tunschuk und Barka Khans Mausoleum sind unbestritten faszinierende Baudenkmäler der mamelukischen Zeit, aber gehen sie doch mal zum König Feisal Tor, dort kann man an den hohen Holztoren der Madrasa noch die originalen Bronzebeschläge in Form von Rosetten und Blättern finden. In der Bab el Hadid-Straße sind die Stuck- und Ablaq-Dekorationen der al Mashariyya Madrasa die feinsten, die die Stadt zu bieten hat, und oben auf dem Tempelberg kann man unbeschränkt von der Enge der Altstadtgassen die Dekorationen der Kuppel über dem Eingang in all ihrer Glorie auch aus einem weniger schrägen Winkel bewundern.