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Mein Senf zu Israel

Weihnachten (Punkt!).

Updated: Oct 26, 2020

Jeder andere Titel wie “Es weihnachtet sehr”, “Oh du Fröhliche“ oder „Ihr Kinderlein kommet“ ist so ausgeleiert, dass ich mich garnicht getraue soetwas hinzuschreiben. Auch beim Rest des Bloges muss ich überlegen, was ich erzählen kann, ohne Ihnen damit die vom Weihnachtsgeduldel schon langgezogenen Ohren noch länger zu ziehen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich mag Weihnachten, nur nicht dann, wenn all das, was an Weihnachten so wunderschön ist, vor lauter Geschäftemachen auf der Strecke bleibt. Wie gut also, dass ich in Israel bin, und Weihnachtsstimmung, wo auch immer sie hier verschüchtert auftaucht, so euphorisch begrüßt wird wie Wein in Grönland, Schokolade in Usbekistan oder Schweizer Käse in Japan.

Der Mangerplatz in Bethlehem am Weihnachtsabend. Danke liebe Tanja Hutt für das unvergessliche Abenteuer!

Aber wie fühlt sich Weihnachten auf orientalisch nun an?

Ich würde sagen, ungefähr so:

Wenn man bei sonnigstem Wetter im T-Shirt zum Lebkuchennoteinkauf auf den Weihnachtsbasar der Jerusalemer Erlöserkirche sprintet.

Wenn bei derselben Gelegenheit der A cappella-Chor respektvollen Abstand zu den von der Sonne aufgeheizten Steinmauern der Kirche hält, während er „We wish you a Merry Christmas“ singt.

Wenn in der Davidsstraße nahe des Jaffatores der Aushilfsweihnachtsmann die Zeichen der Zeit erkennt und mehr mit seinem ultramodernen Handy beschäftigt ist als mit seinem ollen Geschenkesack.

Wenn in der Ladenauslage des Geschäftes auf der Via Dolorosa die Schokoladenweihnachtsmänner zwischen Wasserpfeifen und Olivenholzkästchen langsam in der Sonne schmelzen.

Weihnachtsbäume in Beit Sahour (links) und im Christlichen Viertel von Jerusalem (rechts)

Wenn einem der Anblick der Weihnachtsbäume in den Augen wehtut, denn die Ärmsten sehen noch nicht mal aus wie Tannenbaumimitate, sondern eher wie zweckentfremdete Brummkreisel.

Und dann ist da noch Bethlehem in Palästina ...

An Weihnachten gibt sich dort die ganze Welt ein Stelldichein, und die sonst eher behäbige Stadt strafft energisch die Schultern. Es wird international, magisch, ergreifend und hektisch zugleich. Die Stadt füllt sich bis zum Bersten. Innovationsgeist und Lichterketten blinken um die Wette... Aber drehen wir die Zeit ein wenig zurück.

Bethlehem: Der Weihnachtsbaum auf dem Mangerplatz wird geschmückt und rechts die Katharinenkirche Tage vor der Mitternachtsmesse

Kommt man ein paar Tage vor Weihnachten, kann man dabei zusehen, wie schwindelfreie Männer sich tollkühn aus Hebebühnen herauslehnen, um endlose Weihnachtskugelketten an den Mann beziehungsweise an den Baum zu bringen. In der Lutheranischen Weihnachstskirche auf der Al Cinema Straße probt ein kleines Blasorchester, und in der Katharinenkirche herrscht gähnende Leere, so als ob das ehrwürdige Gebäude vor dem Besucherandrang in der Weihnachtsnacht noch einmal in sich gehen müsste.

Und dann war ich Weihnachten 2016 tatsächlich in Bethlehem! Und das ...

... war eine wundervolle Angelegenheit. Im wahrsten Sinne des Wortes! Obwohl am Anfang einige Hürden zwischen mir und dem traditionellen Mitternachtsgottesdienst in der Katharinenkirche standen. Im Gegensatz zur Heiligen Familie hatte ich nämlich eine Unterkunft, aber leider keine Eintrittskarte.

Bethlehem: Pfadfinderaufzug und improvisierter Zuckerwattestand

Das allerdings konnte ich getrost für eine Weile vergessen, denn die Stadt schwamm in Düften und vibrierte in Musik. Durch die engen Gassen der Altstadt zogen Pfadfindergruppen hinunter zum Mangerplatz, dem Apostolischen Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem Pierbattista Pizzaballa voran. Ein Aufmarsch wie er bunter und euphorischer nicht hätte sein können, begleitet von Dudelsäcken, Trommeln und Fanfaren. Nebenan gab es die Zuckerwatte nicht hinter dem Tresen eines Holzbüdchens a lá Erzgebirge sondern frisch aus dem Kofferraum eines Autos, und wem es zu kalt wurde, der konnte in einem kleinen Lädchen gleich um die Ecke mit Ingwer, Zimt und Kardamom gewürzten Tee trinken.

Am frühen Abend steuerten wir im Kreuzgang der Katharinenkirche wie magisch angezogen auf einen den vielen geistlichen Herren zu. Wie sich herausstellte, genau auf den Richtigen, denn ohne ihn jemals vorher gesehen zu haben, und ohne dass er in irgendeiner Weise als solcher zu erkennen gewesen wäre, hatten wir uns den Herren der Karten, den Leiter des Franziskanischen Pilgerbüros in Jerusalem ausgesucht ... Als Weihnachtsgeschenk überreichte er uns Eintrittskarten für die Mitternachtsmesse, die nicht von ihren rechtmäßigen Eigentümern abgeholt worden waren.

Bethlehem: die Geburtsgrotte in der Weihnachtsnacht und der Lateinische Patriach mit dem Christkind (Danke Tanja Hutt für das stimmungsvolle Bild)

Nach der Messe hatten wir die Geburtsgrotte fast für uns allein, denn die Besucher Bethlehems waren entweder auf dem Mangerplatz vor der großen Übertragungsleinwand versammelt oder formierten sich in der Katharinenkirche als Prozession hinter dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem. So ungewöhnlich still, belebt von nur ein paar Andächtigen, wurde die uralte Höhle in der Ruhe der Nacht zur Quelle des Friedens, zum Zentrum der Hoffnung. Dinge, nach denen wir uns jetzt, wo Engstirnigkeit, Fanatismus, Verständnislosigkeit, Fremden- und Religionshass ihre Häupter erheben, mehr als je sehnen.

Und dann standen wir durch Zufall so gut plaziert im Nordaltar der Geburtskirche, dass der Lateinische Patriarch mit dem Christkind direkt an uns vorüberzog. Einmal Christkind-Streicheln inbegriffen!

Was soll ich sagen? Weihnachten ist etwas ganz besonders, ohne Zweifel! Aber Weihnachten in Bethlehem hält nicht nur eines, sondern gleich mehrere Wunder bereit.

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